193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben 2015 die Gleichstellung der Geschlechter als zentrales, weltweit zu verwirklichendes Ziel in die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung aufgenommen. Nachhaltigkeitsziel (SDG) Nummer 5 sieht vor, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung zu befähigen. Zielvorgabe 5.2 geht speziell darauf ein, alle Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen im öffentlichen und privaten Bereich zu beseitigen. Dem Unterziel kommt eine besondere Bedeutung zu, weil geschlechtsspezifische Gewalt nicht nur eine Folge, sondern auch eine Ursache sexistischer Diskriminierung darstellt.
Für die reichen Länder des globalen Nordens gibt es noch viel zu tun bis zur vollständigen Realisierung von SDG 5 und seinen Zielvorgaben. So veröffentlichte die Europäische Kommission eine kürzlich in den EU-Mitgliedstaaten durchgeführte Umfrage, den Spezial-Eurobarometer zur Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Gewalt – mit geradezu erschreckenden Ergebnissen.
In allen Bereichen ergab sich ein einheitliches Bild: während die Mehrheit der Befragten geschlechtsspezifische Gewalt als falsch bewerten, geben deutlich weniger Personen an, dass dieses Verhalten auch strafrechtlich verfolgt werden sollte. So sind 96 Prozent der Befragten der Ansicht, häusliche Gewalt gegen Frauen sei nicht akzeptabel, während immerhin 12 Prozent der Meinung sind, dass diese nicht immer bestraft werden sollte. Dass häusliche Gewalt innerhalb von Familien „geregelt“ werden sollte und niemanden etwas anginge, meinen 15 Prozent der Befragten. Auch zur Eindämmung unerwünschter E-Mails oder Nachrichten mit eindeutig sexuellem Gehalt sehen 16 Prozent der Befragten keinen juristischen Handlungsbedarf. Geht es um anzügliche Bemerkungen oder „Witze“ gegenüber Frauen auf der Straße, sagen sogar mehr als vier von zehn Befragten, dass dieses Verhalten nicht strafrechtlich verfolgt werden sollte – ganz nach dem Motto „Anfassen geht nicht, anmachen schon“.
Dass Geschlechtergleichstellung und die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Gewalt als gesellschaftliches Problem noch lange nicht in allen Köpfen angekommen ist, zeigt sich besonders an Aussagen zur möglichen Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen. Nahezu 17 Prozent der Befragten in der EU stimmen der Aussage zu, dass Gewalt gegenüber Frauen oft vom Opfer provoziert wird. Die Befragten lassen Ausreden gelten, etwa den Alkohol- und Drogenkonsum der Betroffenen (12 Prozent); wenn diese „freizügig provozierende oder sexy Kleidung“ tragen (10 Prozent) oder nicht deutlich „Nein!“ sagen und sich körperlich nicht ausreichend wehren (10 Prozent); dass Opfer selbst schuld seien, wenn sie freiwillig zu jemandem nach Hause mitgehen, meinen 11 Prozent .
Die Studie zeigt, dass alle Länder einen mehr oder weniger Weiten Weg hin zur Gleichstellung der Geschlechter und der Beseitigung aller Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen vor sich haben. Dass fast alle Befragten sämtliche Akte geschlechtsspezifischer Gewalt für falsch halten, gibt Hoffnung dafür, durch Informations- und Aufklärungskampagnen, die Bereitstellung von Hilfsangeboten für die Gewaltopfer und möglicherweise auch durch eine strengere Strafverfolgung dem globalen Ziel nachhaltiger Entwicklung zur Geschlechtergerechtigkeit näher kommen zu können.