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von Bodo Ellmers
Jedes Jahr im Frühjahr gibt die UN den Financing for Sustainable Development Report heraus. Darin die neuesten Daten und Analysen zu den verschiedenes Aspekten der Entwicklungsfinanzierung. Darüber hinaus Politikempfehlungen zu einem Schwerpunktthema, die im Financing for Development (FfD) Prozess der UN umgesetzt werden sollen. In 2022 sollte der Report Mittel und Wege beleuchten, wie die finanzielle Spaltung zwischen Nord und Süd überwunden werden kann. Denn reiche Länder hatten erheblichen finanziellen Spielraum, um die Coronakrise abzumildern, und arme Länder eben nicht, weshalb sie in ihrer Entwicklung weit zurückgeworfen wurden. Dann begann der Konflikt in der Ukraine und machte klar, dass auch das Ausklingen der Coronakrise keine Entlastung bringt. Die multiplen Krisen stellen die Entwicklungsfinanzierung vor große Herausforderungen.
Nach der Krise ist vor der Krise
Die COVID-19 Krise hat nach Analyse des Reports im globalen Süden zu einem stärkeren Einbruch der Wirtschaftsleistung geführt als im Norden. Dies ist vor allem eine Konsequenz des mangelnden fiskalischen Spielraums der Regierungen dort zur Stützung von Wirtschaft und Bevölkerung in Krisenzeiten. Während die außerordentlichen Staatsausgaben zur Antwort auf die Krise im Norden im Schnitt 11,7% des BSP betrugen, konnten Länder niedrigen Einkommens nur 3,2% ihres deutlich geringeren BSPs mobilisieren.
Trotzdem ist die Verschuldung im globalen Süden so stark angestiegen, dass mittlerweile systemische Schuldenkrisen drohen. Grund für den Anstieg sind neben der Rezession auch die eklatant schlechteren Finanzierungsbedingungen: In der Praxis der Staatsfinanzierung wirkt sich die finanzielle Spaltung so aus, dass Regierungen wie die Deutschlands sich während der Coronakrise zu Nullzinsen finanzieren konnten, während selbst in einem Schwellenland wie Südafrika Zinssätze von gut 10 Prozent an die privaten Investor*innen transferiert wurden, was die öffentlichen Kassen ausgeblutet hat sodass sie andere Aufgaben kaum noch wahrnehmen konnten.
Auch Zentralbanken haben im globalen Süden nicht im selben Maße unterstützend eingegriffen, weil sie eine massive Kapitalflucht fürchteten, die mangels Kapitalverkehrskontrollen nicht gestoppt hätte werden können. Erst die – späte und unzureichende – Beauftragung des Internationalen Währungsfonds mit der Ausschüttung von Sonderziehungsrechten im August 2021 hat etwas zusätzliche Liquidität zu günstigen Konditionen gebracht.
Mit den rapide steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine kommen jetzt neue Herausforderungen auf wenig resiliente Länder zu, während die ohnehin begrenzten fiskalischen Spielräume längst verbraucht sind.
Zentralen Empfehlungen des Reports
Nach Ansicht des Reports ist die „great finance divide“ – die große finanzielle Spaltung – der Hauptgrund, warum die Coronakrise zu sprunghaftem Anstieg der Armut speziell im globalen Süden geführt hat, und die Ungleichheit in und auch zwischen den Ländern sich nochmal vergrößert hat.
Der Report erkennt an, dass einheimische Ressourcen eine Hauptfinanzquelle jedes Lands sind und sein sollen, betont aber, dass die Länder des globalen Südens in Zeiten der Coronarezession wenig Potenzial zur Steigerung einheimischer Einnahmen hatten. Die Empfehlungen im Bereich einheimische Ressourcen fokussieren daher auf die Steigerung der Effizienz, zum Beispiel durch bessere Ausgabenplanung, und effizientere Beschaffung. Der Ausbau lokaler Kapitalmärkte soll helfen, Mittel zu mobilisieren und die Abhängigkeit von teurem Auslandskapital zu reduzieren.
Finanziell bessergestellte Länder werden aufgefordert, mehr Transfers zu leisten. Verpflichtungen bei der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) müssen eingehalten werden, insbesondere auch jene gegenüber den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs), die stark von ODA abhängig sind. Hervorgehoben wird, dass die Unterstützung der Ukraine nicht zu Lasten der traditionellen Aufgaben der ODA gehen darf, wie es auch von NRO gefordert wurde.
Weitere Ressourcen können zum Beispiel durch die Umverteilung von IWF-Sonderziehungsrechten, durch Schuldenumwandlungen, den verstärkten Einsatz von Entwicklungsbanken gemacht werden, oder auch die Förderung von nachhaltigen Investitionen seitens des Privatsektors mobilisiert werden.
Da viele Entwicklungsländer von Schuldenkrisen betroffen sind, müsse das „Common Framework“ – die Schuldenerlassinitiative der G20 – effektiver gemacht werden. Der Report empfiehlt aber auch weitergehende Reformschritte bei der Schuldenarchitektur, über die G20-Initiativen hinaus, mit dem Ziel, eine „umfassende Lösung“ für Krisen zu schaffen. Er bleibt aber vage, wie diese Lösung aussehen solle.
Als zweiten Aspekt fordern die Autor*innen eine bessere Ausrichtung der Finanzinstrumente auf nachhaltige Entwicklung. Progressivere Steuersysteme, Kohlenstoffbepreisung und gezielte Finanzierung sozialer Sicherheit sind nur einige Instrumente, die im Report als Mittel zu diesem Zweck angeführt werden.
Als dritter Aspekt soll mehr Transparenz geschaffen. Damit soll sowohl Planung als auch Effizienz des Mitteleinsatzes verbessert werden. Transparenz solle auch bei der Krisenvorbeugung helfen und damit Resilienz stärken. Verwandt mit Transparenz sind auch zwei Sonderthemen des diesjährigen Reports, die im expliziten Auftrag des UN Financing for Development Forums abgearbeitet wurden.
Dies sind einerseits die Diskussion von Ratingagenturen, da ungerechtfertigt schlechte Kreditratings und Downgrades als Grund für die hohen Finanzierungskosten im globalen Süden angesehen werden. Andererseits der Diskussion der Vor- und Nachteile eines Multidimensionalen Vulnerabilitätsindex (MVI), der das Kriterium „Einkommen“ bei der Einstufung von Ländern ergänzen könnte. Beides wird allerdings nur kurz abgehakt, beim MVI vielleicht, um dem UN-Prozess seiner Entwicklung nicht vorzugreifen, der gerade läuft und noch dieses Jahr abgeschlossen werden soll.
Kritik der Watchdogs am Report
Der Financing for Sustainable Report wird in einem zweistufigen Verfahren herausgegeben. Bereits einige Wochen vor dem UN Financing for Development Forum wird eine Vorabfassung an die UN-Mitgliedstaaten und andere Stakeholder geschickt, darunter auch an NRO. Diese haben die Möglichkeit zur Kommentierung des Entwurfs intensiv genutzt. Die Kommentare seitens der Civil Society Financing for Development Group, der größten Koalition von NRO im FfD-Prozess, werfen dem Report in erster Linie eine reduktionistische Analyse und unzureichendes Ambitionsniveau vor.
In Anbetracht der multiplen Krisen und ihrer verheerenden Auswirkungen auf die Lebensbedingungen wäre mehr nötig gewesen. Dies besonders, da der Report ein zentrales Instrument der Politikberatung bei den Regierungsverhandlungen im FfD-Prozess der UN ist. Die Analyse hätte daher stärker auf die Machtasymetrien im internationalen System eingehen sollen, die eine effektive globale Strukturpolitik verhindern, institutionelle Lücken und Defizite der Global Economic Governance zementieren. Diese Defizite machen auch den kontinuierlichen Abfluss von Ressourcen vom globalen Süden in den Norden erst möglich, zum Beispiel durch den Schuldendienst, durch unfaire Verteilung von Besteuerungsrechten, oder durch die Repatriierung exorbitanter Gewinne seitens privater Investor*innen.
Um nur einige Beispiel zu nennen: im Bereich Steuern hätte der Report auf die Kritik des neuen OECD-Abkommens zur Unternehmensbesteuerung eingehen sollen, dass laut den NRO zu einem Abwertungswettlauf führen werde, und auch von einigen UN-Mitgliedsstaaten abgelehnt wird. Statt dessen hätte man die Vorschläge der Stärkung der UN-Architektur anführen können. Eine UN-Konvention zu internationalen Steuerfragen wurde schließlich auf Initiative anderer beim FfD-Forum präsentiert und diskutiert.
Was den Bereich Schulden angeht, hätte der Report die totale Ineffektivität des Common Frameworks der G20 ansprechen sollen, das bislang keine einzige Schuldenkrise lösen konnte. Darauf aufbauend hätte der Report konkrete Politikempfehlungen für das Design eines multilateralen Staateninsolvenzregimes unter dem Dach der UN machen sollen, das den Ansprüchen der Addis Ababa Action Agenda genügt, Schuldenkrisen zeitig, fair und effektiv zu lösen.
Dem Report wird auch geworfen, zu positive Erwartungen gegenüber an den Nutzen privater Investitionen für nachhaltige Entwicklung zu hegen. Statt nur bessere Standards und Transparenz für Sustainable Finance zu fordern, hätte der Report darauf eingehen sollen, wie durch effektive Regulierung die Spreu vom Weizen getrennt werden könne. Statt öffentliche Güter wie Bildung und Gesundheit für private Investitionen zu öffnen, hieße nachhaltige Entwicklung fördern, den globalen Süden bei der strukturellen Transformation weg von der Rohstoffabhängigkeit zu unterstützen.
Auch bei den systemischen Fragen hätte sich NRO vom Report mehr erhofft. So weist der Report zum Beispiel bei den Sonderziehungsrechten zwar daraufhin, dass alle 46 LDCs zusammen nur SZR im Wert von US$ 15 Milliarden aus der Allokation von US$ 650 Milliarden abbekommen – Deutschland alleine hat den doppelten Betrag eingestrichen – setzt sich aber nicht für eine neue bedarfsgerechte Allokationsformel ein. Diese wäre jederzeit möglich, würde aber eine Änderung des IWF-Abkommens nötig machen.
Politikempfehlungen: Aggregation statt Konsens?
Hier liegt ein Kernproblem des Financing for Sustainable Development Reports. Er wird von der sogenannten Inter-Agency Task Force erstellt, einer Koalition der neben mehreren Dutzend UN-Organisationen auch IWF Weltbank und WTO, und sogar Institutionen ohne universale Mitgliedschaft wie die OECD und das Financial Stability Board angehören. Die Empfehlungen des Reports werden von den beteiligten Organisationen ausgehandelt und stellen deren Minimalkonsens dar.
Durch diesen Reduktionsprozess wird den eigentlichen Regierungsverhandlungen beim FfD-Forum vorhergegriffen, auch bleiben viele gute Ideen auf der Strecke. Vielleicht wäre der Report für die Politikberatung noch nützlicher, wenn er die Empfehlungen der einzelnen Stakeholder, dort wo sie nicht konsensuell sind, einfach nebeneinander stellen und aggregieren würde, ähnlich wie die UN das auch beim Optionsmenü des Sonderprozesses „Financing for Sustainable Development in the Era of COVID-19 and Beyond“ gemacht hat. Denn Entscheidung zum für oder wider ist ohnehin die Aufgabe des Financing for Development Prozesses.