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von Bodo Ellmers
Die Implementation der Agenda 2030 ist massiv ins Hintertreffen geraten, unzureichende Entwicklungsfinanzierung ist ein Hauptgrund dafür. Die langsam abklingende Coronakrise hatte zu einem parallelen Einbruch aller Quellen der Entwicklungsfinanzierung geführt. Das diesjährige Hochrangige Forum für Nachhaltige Entwicklung (HLPF) der UN hätte sich dem besseren Wiederaufbau nach der Krise widmen sollen. Im Titel blieb das „building back better“ auch erhalten. De facto stand das HLPF im Schatten einer neuen Krisenwelle. Konkrete Lösungen wurden einige angesprochen, konkrete Beschlüsse jedoch auf zukünftige Gipfel vertagt. Der Druck zur Einberufung einer neuen Weltkonferenz zur Entwicklungsfinanzierung wächst.
Krise als Dauerzustand
Das diesjährige High-Level Political Forum (HLPF) on Sustainable Development erhielt den sperrigen Titel „Building back better from the coronavirus disease (COVID-19) while advancing the full implementation of the 2030 Agenda for Sustainable Development“. Doch das Ausklingen der Coronakrise bot nicht nur neue Möglichkeiten zum besseren Wiederausbau, sondern brachte auch neue Herausforderungen mit sich. Seit dem großen Coronacrash in 2020 steigen Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise fast kontinuierlich an, verschlimmern damit tendenziell die Hungersnot bei Menschen mit wenig Kaufkraft, und verursachen Zahlungsbilanzkrisen in Nettoimportländern.
Die wirtschaftliche Erholung hat auch die Zinswende gebracht. Im März 2022 hat die US-Zentralbank (Fed) erstmals seit 2018 die Leitzinsen erhöht, im Juni gleich mit einem zweiten gewaltigen Schritt von 0.75 Prozentpunkten. Die Fed trifft ihre Zinsentscheidungen auf Basis nationaler Bedürfnisse der USA, ohne Rücksicht auf Wirkungen in Drittländern. Besonders im globalen Süden sind diese fatal.
Für Entwicklungsländer mit hoher Auslandsverschuldung bedeutet der Anstieg der Dollar-Zinsen, dass größere Anteile der Staatseinnahmen in Zinskosten fließen, dementsprechend weniger in die Umsetzung der Agenda 2030. Um Kapitalabflüsse zu verhindern, müssen Zentralbanken des globalen Südens attraktivere Bedingungen schaffen als in den USA. Im stark von Dollarkrediten abhängigen Lateinamerika wurden daher die Leitzinsen dieses Jahr im Schnitt um 6% erhöht. Damit wird auch privates Kapital endgültig zu teuer, um SDG-Finanzierungslücken nachhaltig zu schließen. Der „Sustainable Finance“-Hype der letzten Jahre erweist sich immer mehr als Holzweg.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, und die westlichen Sanktionen dagegen – beides mit wenig Rücksicht auf Kollateralschäden in der Dritten Welt gestaltet – haben die obigen Trends noch verstärkt.
Entwicklungsfinanzierung im Ergebnisdokument des HLPF.
Die Beschlüsse zu Entwicklungsfinanzierung sind im Ergebnisdokument des HLPF in Paragraph 76 bis 95 zusammengefasst. Das ist der Teil, der sich mit SDG 17 befasst, den so genannten Means of Implementation. Was dort steht, gibt allerdings wenig Hoffnung, dass der Rückstand bei der SDG Implementation aufgeholt und auf die neuen Herausforderungen angemessen reagiert würde.
- Was die öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA) angeht, sollen Geber ihre Anstrengungen erhöhen und Verpflichtungen einhalten (Paragraph 78). De facto erreichen die Geber weniger als die Hälfte der UN-Ziele. Bei den Indikatoren zur Wirksamkeit der ODA und den Beiträgen an LDCs sind sogar Rückschläge zu verzeichnen.
- Bei der Mobilisierung einheimischer Ressourcen wiederholt das Ergebnisdokument Vereinbarungen zur Stärkung der Steuerverwaltung und zur Rückgabe gestohlener Vermögenswerte (79). Die heikle aber wichtigen Fragen zur Reform der internationalen Steuerarchitektur wird dabei umschifft. Allerdings wird der FACTI-Report zur Kenntnis genommen, der unter anderem die Forderung nach einer UN-Steuerkonvention enthält.
- Beim Thema Schulden warnt das Dokument vor rapide steigenden Kosten und Krisenrisiken (80), fordert aber im Paragraph zu Lösungen (81) lediglich die G20 und den Pariser Klub auf, ihr so genanntes „Common Framework“ auf Mitteleinkommensländer auszuweiten. Darüber hinaus sollen sie mit der Möglichkeit zu ergänzen, von frühem Zeitpunkt der Verhandlungen an Schuldenmoratorien zuzulassen. Erstaunlich ist hier, dass das UN-Dokument lediglich einen Auftrag an G20 und Pariser Klub erhält, nicht aber an die UN selbst, und lediglich kosmetische Verbesserungen am in der Praxis völlig dysfunktionalen Common Framework empfiehlt, welches vom Design her den UN-Prinzipien für Schuldenumstrukturierungen nicht angemessen ist. Damit fällt das HLPF-Dokument hinter die Aktionsagenda von Addis Abeba zurück.
- Der Text zu privaten Investitionen (84) war bis zuletzt umstritten. Ein positiver Bezug auf SDG-Anleihen wurde erst in der letzten Fassung gestrichen. Erstaunlich ist, dass ausländische Direktinvestitionen (ADI) in einem eigenen Paragraphen (125) außerhalb des eigentlichen Kapitels zu SDG 17 abgehandelt werden. Das zusammen signalisiert, dass das Vertrauen in SDG-Finanzierung durch Finanzmärkte schwindet, und Realinvestitionen seitens transnationaler Unternehmen wieder mehr Beachtung finden. ADI standen vor 20 Jahren, im Konsens von Monterrey, im Zentrum der Aufmerksamkeit, wurden dann im Zuge der Geldschwemme und des Sustainable Finance Hypes von finanzmarktgetrieben Investments abgelöst.
- Zur Klimafinanzierung (100/101) enthält das Dokument nichts Neues.
- Letztlich befasst es sich auch mit den neuen IWF-Sonderziehungsrechten (127). Länder, die es sich leisten könne, werden zur freiwilligen Weitergabe ihr SZR aufgefordert. Der neue Resilience und Sustainability Trust des IWF wird als Mittel dazu begrüßt. Die Weitergabe durch andere Kanäle wie die multilateralen Entwicklungsbanken soll geprüft werden. Das jedoch war schon beim ECOSOC Financing for Development (FfD) Forum im April die Beschlusslage.
Man muss leider konstatieren, dass das Ergebnisdokument des HLPF den aktuellen Herausforderungen mit einer bemerkenswerten Blindheit gegenübersteht. Das wohl eine Konsequenz der UN-Praxis, in diplomatisch heiklen Situation schlicht „agreed language“ aus existierenden Resolutionen zu übernehmen oder zusammenzufassen.
Die Debatte beim HLPF selbst
Tatsächlich hat das HLPF wenig Spielraum, beim Thema Entwicklungsfinanzierung über die Beschlusslage des thematisch fokussierten FfD Forums hinauszugehen. Auch wenn CSOs das in New York vehement gefordert haben, da die Dringlichkeit der Lage es der Weltgemeinschaft eigentlich nicht erlaube, sich prozedurale Fesseln anzulegen.
Umso wichtiger waren die Debatten beim Forum selbst. Entwicklungsfinanzierung wurde in einer einzigen Sitzung am zweiten Tage des HLPF behandelt. Die Sitzung startete allerdings mit 15 Minuten Verspätung und das Panel überzog seine Redezeit. Folglich kürzte der Moderator die Zeit für Interventionen seitens der Redner*innen der UN-Mitgliedstaaten und anderer Stakeholder während der Debatte von den üblichen drei auf lediglich eine Minute, nach der das Mikrophon automatisch abgeschaltet wurde. Die folgende Debatte wurde daher eine beinahe komödienhafte Übung im Schnellreden (ab 01:14:00 hier).
Das war schade, da die Parteien tatsächlich substanzielle Beiträge hatten: So forderte zum Beispiel Norwegen klare und durchsetzbare Regelungen für die Beteiligung privater Gläubiger bei Schuldenerlassen, und verwies auf das Potenzial einer neuen Weltkonferenz zur Entwicklungsfinanzierung. Mexiko hob die Debatten zu innovativeren Finanzierungsinstrumenten beim jüngsten Meeting der Gruppe der Friends of Monterrey hervor, und forderte besseren Zugang zu IWF-Sonderziehungsrechten. Guatemala und Aserbaidschan verwiesen auf ihre ersten Erfolge, die SDG-Finanzierung mittels Integrated National Financing Frameworks (INFFs) zu verbessern.
Das offizielle EU-Statement verurteilte zunächst Russland, und verwies anschließend darauf, dass die EU kollektiv der weltgrößte ODA-Geber sei und zu ihren ODA-Verpflichtungen steht (von denen sie weit entfernt ist). Es bewarb auch die neue Infrastrukturinitiative Global Gateway (die sie als SDG-kompatible Alternative zu Chinas Belt-and-Road-Initiative anpreist). Guatemala und Marokko machten Werbung für Public-Private Partnerships.
Das CSO Statement kam von Latindadd und wandte sich gegen Finanzierungslösungen, die die Schuldenberge im globalen Süden noch weiter anwachsen lassen. Stattdessen sollen reiche Länder ihren Verpflichtungen bei der ODA nachkommen und ihre Klimaschulden bezahlen, eine neue SZR-Allokation soll bewilligt und die Auslandsschulden des globalen Südens gestrichen werden. Die Einberufung einer neuen Weltkonferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD4) könne den Wandel beschleunigen.
FfD4 spielte auch bei anderen Sitzungen des HLPF eine Rolle. So wurde während der Diskussion zum kommenden SDG-Summit 2023 argumentiert, dass es wenig Sinne mache, über die Ziele zu reden, wenn das Problem der fehlenden Mittel nicht angegangen werde. Der SDG Summit solle daher eine ehrliche Überprüfung der Means of Implementation durchführen und auf dieser Basis die Ziele für FfD4 festlegen.
Entwicklungsfinanzierung am Rande des Forums
In der Praxis ist das HLPF eine komplexe Messe, auf der verschiedene Parteien ihre Ideen präsentieren und nach Partnern für ihre Initiativen suchen. Das passiert überwiegend durch die zahlreichen Side-Events, die den anhaltenden Pandemiebedingungen geschuldet auch dieses Jahr überwiegend virtuell stattfanden.
Unter den mehr als 300 offiziellen Side-events befanden sich unter anderem welche zum Thema INFFs im Kontext nationaler Entwicklungsprioritäten, zur Mobilisierung von Privatkapital im Allgemeinen sowie zu kuriosen Kreationen der Finanzialisierung wie „Blauen Anleihen“ zur Finanzierung des Meeresschutz im Besonderen, zu sektoralen und regionalen Finanzierungsfragen, und natürlich auch zu FfD 4.
Die Ansicht des UN-Generalsekretärs
Das beste Bonmot des HLPF kam vom UN-Generalsekretär selbst. In seiner Rede (ab 00:10:30 hier) betonte Antonio Guterres: „Looking ahead, we need a new global deal so that developing countries have a fair shot at building their own futures (…). The global financial system is failing the developing world. Although, since it was not designed to protect developing countries, perhaps it’s more accurate to say: the system is working as intended. And so we need reform. We need a system that works for the vulnerable, not just the powerful.“
Da hat er den Nagel natürlich auf den Kopf getroffen. Und was die Reform der internationalen Finanzarchitektur angeht, hat das 2022 HLPF den Reformbedarf kein bisschen geschmälert.