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Ein Blogbeitrag zum Weltfrauentag 2024 von Maike Salzmann
Während rechtspopulistische Parteien früher eine klare Anti-Haltung gegen Frauenrechte einnahmen und einzig Männer in ihren Parteiriegen zu finden waren, zeichnet sich heute ein etwas anderes Bild ab: Die AfD schreibt beispielsweise selbst, dass „die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein hohes Gut [sei]“ und dass sie „Frauen- und Mädchenrechte effektiv stärken“ wolle. Viele rechtspopulistische Parteien erreichen durch ähnliche Aussagen vermehrt Wählerinnen und auch intern sind immer mehr weibliche Parteimitglieder und insbesondere Führungskräfte in rechtspopulistischer Parteien zu finden. Was steckt hinter diesen Entwicklungen? Dass rechtspopulistische Parteien auf einmal den Feminismus für sich entdeckt haben scheint unwahrscheinlich. Was sich tatsächlich hinter diesem Wandel versteckt, zeigt ein genauerer Blick auf die verwendeten Narrative.
Die Verbindungen zwischen rechtspopulistischen Parteien und Frauenrechten sind in den letzten Jahren tatsächlich deutlich komplexer geworden. Dadurch sind die vertretenen Positionen jedoch keineswegs progressiver oder positiver zu bewerten – im Gegenteil: durch ihr weniger plakatives Auftreten sind sie möglicherweise viel gefährlicher, als eine offensichtlich anti-feministische Haltung es wäre.
Rechtspopulistische Parteien instrumentalisieren Frauenrechte für ihre rassistische und völkische Agenda
Ähnlich wie die AfD inszenieren sich manche rechtspopulistische Parteien als Schützer der Frauenrechte. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass sie diese nicht wirklich in die Tat umsetzen, sondern das Thema Frauenrechte einzig instrumentalisieren, um andere Aspekte ihrer Agenda voranzutreiben. Sie setzen sich also immer dann für Frauenrechte ein, wenn diese im Einklang mit ihrer übergeordneten Ideologie stehen.
Beispielsweise ist rechten Parteien der Schutz von Frauen und Mädchen, und sogar in manchen Fällen queeren Menschen, vor sexuellen Übergriffen immer dann besonders wichtig, wenn sie damit ihre ausländerfeindliche Propaganda stützen können. Das verwendete Narrativ ist in diesem Fall der junge Ausländer oder Flüchtling, der die „heimischen“ Frauen und Mädchen belästigt. Dabei gelten die geforderten Frauenrechte eben nur für diese „heimischen“ Frauen. Die Debatte um die Kölner Silvesternacht 2016 zeigt exemplarisch die Nutzung und den Erfolg dieses Narratives. Auch Marie LePen verwendete dieses Narrativ in ihrem Wahlprogramm 2017, in dem es heißt: „Die Rechte der Frauen zu verteidigen bedeutet: den Islamismus zu bekämpfen, der ihre fundamentalen Freiheiten beschneidet.“
Ein weiteres Beispiel ist die vermeintlich progressive Familienpolitik rechtspopulistischer Parteien. So wollen viele dieser Parteien die finanzielle Unterstützung für Mütter erhöhen. Parallel zu der meist aus linken Kreisen kommenden Forderung nach einer Anerkennung der Care-Arbeit scheint diese Forderung zunächst progressiv. Allerdings ändert sich dieser Eindruck, sobald die Forderung vor dem Hintergrund betrachtet wird, dass rechtspopulistische Parteien die Reproduktionsarbeit als Hauptaufgabe der Frau propagieren und in diesem Zuge ein gleichberechtigtes Arbeitsleben ablehnen. Sie setzen sich für Mütter, insbesondere Vollzeitmütter, ein, damit diese die zukünftige heimische Bevölkerung nicht nur gebären, sondern auch versorgen können.
Viele rechtspopulistische Parteien setzen sich auch für mehr Betreuungszeiten, Kinderbetreuungsgeld und eine verlängerte Elternzeit ein und unterstützen damit berufstätige Mütter. Auch hier versteckt sich hinter den modern wirkenden Forderungen die traditionelle Agenda dieser Parteien – getreu dem Motto: wenn diese Frauen schon arbeiten müssen, sorgen wir wenigstens dafür, dass sie gleichzeitig auch Kinder bekommen können. Sogar eine Erhöhung des Mindestlohns wird teilweise gefordert. Sie würde besonders Frauen zugutekommen, da diese überproportional in geringverdienenden Berufen arbeiten – ebenfalls eine Forderung, die auch aus linken Kreisen kommen könnte. Allerdings steht auch hinter dieser Forderung rechtspopulistischer Parteien das Ziel, dass Frauen durch eine bessere Bezahlung weniger arbeiten und sich dadurch mehr ihren reproduktiven Aufgaben widmen können.
Vermeintlich progressive Forderungen sind im Kern anti-feministisch
Dass all diese Forderungen nicht auf einem tatsächlichen Interesse an Frauenrechten beruhen, kann an verschiedenen Aspekten verdeutlicht werden:
Erstens beziehen diese Forderungen sich nur auf eine ganz bestimmte Gruppe von Frauen: „heimische“ Mütter. Anders als in linken Kreisen stehen die Forderungen nicht im Zusammenhang mit weiteren Forderungen, die grundsätzlich alle Frauen (und queere Menschen) in den Blick nehmen. Keine Frage – Rechte von Müttern sind wichtig und werden wie oben erwähnt auch von anderen Parteien eingefordert. Dass rechtspopulistische Parteien jedoch ausschließlich Rechte für Mütter in traditionellen Familienverhältnissen fordern und andere Frauen, queere Menschen und auch Väter gleichzeitig keine Erwähnung finden oder sogar diffamiert werden, zeigt, dass es diesen Parteien nicht um die Rechte an sich geht, sondern eben um die dahintersteckende Ideologie.
Zweitens sind andere Forderungen dieser Parteien explizit gegen Frauenrechte formuliert: So wollen fast alle rechtspopulistische Parteien reproduktive Rechte (z.B. das Recht auf Abtreibung) einschränken. Auch das Familienbild und die Geschlechterrollen bleiben traditionell verteilt und eine strukturelle Benachteiligung von Frauen wird negiert. Zudem wird häufig der Abbau von Schutzmaßnahmen gegen sexuelle Gewalt gefordert. Dass diese Forderungen auch in die Tat umgesetzt werden, wurde schon vielfach bewiesen: In Ungarn wurde seit dem Amtsantritt Victor Orbans beispielsweise das Abtreibungsgesetz verschärft und das Forschungsfeld Gender Studies verboten. In den USA wurde während der Trump-Ära ebenfalls das Abtreibungsrecht eingeschränkt. Gleichzeitig wurden die Definition von häuslicher und sexueller Gewalt verwässert und die staatliche Förderung für Hilfsprojekte für Opfer dieser Gewalt gestoppt. In Italien wurde das traditionelle Frauenbild infolge der Machtübernahme Giorgia Melonis gefestigt. Zugleich will die rechtsextreme Regierung gleichgeschlechtliche Paare nicht mehr als Eltern akzeptieren. In Argentinien will der neue Präsident Javier Milei das Ministerium für Frauen, Gender und Diversität abschaffen und ein Referendum gegen das erst seit 2021 existierende Abtreibungsgesetz durchführen. Was alle Forderungen gemein haben (sowohl diejenigen, die vermeintlich Frauenrechte unterstützen, als auch jene, die es offensichtlich nicht tun), ist die völkische Ideologie als Basis: alle diese Forderungen unterstützen die Reproduktion „heimischer Bürger“.
Damit das Paradox zwischen dem vermeintlichen Verfechten von Frauenrechten und der tatsächlichen Umsetzung anti-feministischer Praktiken nicht auffällt, werden feministische Forderungen oft als „Genderwahn“ abgetan. Es wird argumentiert, dass diese übertrieben wären, Geschlechter auflösen und Kinder zur Homosexualität ermutigen würden. Die Parteien geben also offen zu, dass sie nicht feministisch sind, argumentieren jedoch gleichzeitig, dass ihre anti-feministische Haltung einen effektiveren Schutz für Frauenrechte darstelle.
Bei genauerem Hinsehen wird also schnell klar, dass die Emanzipation und der Schutz der Frau, ihrer Rechte und Freiheiten keineswegs Ziele dieser Parteien sind. Es geht ihnen mit ihrer Geschlechter- und Familienpolitik nicht darum, Chancengleichheit zu schaffen oder Frauen auf ihrem selbstbestimmten Lebensweg zu unterstützen, sondern einzig darum, die traditionelle Rolle der Frau als Mutter, Ehefrau und Hausfrau als Norm zu stärken und die Frauenrechte als Instrument für ihre ausländerfeindlichen und völkischen Ziele zu nutzen. Dass diese Strategie so gut funktioniert, liegt unter anderem daran, dass diese Themen ideale Anknüpfpunkte bieten, da alle Menschen in ihrem alltäglichen Leben davon betroffen sind. Zugleich eignen sie sich auch bestens zur Emotionalisierung und Polarisierung der Bevölkerung. Beides sind zentrale Aspekte einer populistischen Politik, welche darauf basiert, „das Volk“ gegen die politische Elite aufzuhetzen. Die Parteien wollen Ängste schüren und politische Gruppen gegeneinander ausspielen. Dass ausgerechnet Geschlechterpolitik als Instrument genutzt wird, um andere Themen auf der Agenda rechtspopulistischer Parteien zu befördern, ist demnach kein Zufall.
Frauen in Führungspositionen rechtspopulistischer Parteien
Nicht nur in den Parteiprogrammen, sondern auch in internen Strukturen rechtspopulistischer Parteien hat die Rolle der Frauen an Bedeutung gewonnen. In vielen rechtspopulistischen Parteien nehmen Frauen sogar Führungspositionen ein: Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia als Ministerpräsidentin von Italien, Alice Weidel als Spitzenkandidatin der AfD, Marine Le Pen als langjährige Parteivorsitzende des Rassemblement National (FR), Beata Szydło von der PiS als ehemalige Ministerpräsidentin Polens, Siv Jensen (Fremskrittspartiet) als ehemalige Finanzministerin Norwegens, Pia Kjaersgaard als ehemalige Vorsitzende der Dansk Folkepart (DK), und Dóra Dúró von der Partei Mi Hazánk Mozgalom als Vizepräsidentin des ungarischen Parlaments. Doch auch wenn Frauen in Führungspositionen modern und emanzipiert wirken, hat diese Entwicklung der immer noch männerdominierten rechtspopulistischen Parteien wenig mit einem tatsächlichen Anspruch an Geschlechtergerechtigkeit zu tun. Vielmehr versteckt sich auch hier ein strategisches Handlungsmuster (ob intendiert oder nicht sei dahingestellt). Die Frauen geben den Parteien ein modernes und „weibliches“ Gesicht, das deren rückwärtsgewandte Politik verschleiert. Der Wiederspruch zwischen Frauen an der Parteispitze und der propagierten Rolle der Frauen als Mütter und Hausfrauen wird dadurch aufgelöst, dass die Mutterrolle der Politikerinnen hervorgehoben wird. Auf Social Media werden Fotos mit ihren eigenen und fremden Kindern gepostet um zu signalisieren, dass die Politiker*innen nicht nur privat Mütter, sondern auch fürsorgliche „Mütter der Nation“ sind.
Paradoxe rechtspopulistischer Frauenpolitik
Anders als früher vertreten rechtspopulistische Parteien nicht länger eine absolute Ablehnungshaltung gegen Frauenrechte. Stattdessen instrumentalisieren sie diese als strategisches Mittel im Sinne ihrer rassistischen und völkischen Ideale. Dass diese Strategie deutlich undurchsichtiger ist, birgt jedoch große Gefahren. Bei einer offensiven Anti-Haltung wäre leicht zu verstehen, dass eine zunehmende Einflussnahme dieser Parteien zu eine Gefahr für Frauen und Mädchen würde. Durch die Verschleierung der eigentlichen politischen Ziele hinter Forderungen nach Frauenrechten wird diese Gefahr jedoch versteckt. Die Parteien wirken dadurch auf Frauen weniger abschreckend, die Zahl weiblicher Parteimitglieder und Wählerinnen hat vermutlich auch deswegen zugenommen. Gabriele Dietze konstatiert in rechtspopulistischen Vorstellungen von Geschlechterregimen ein paradoxes Ineinandergreifen von traditionellen und modernen Elementen und stellt fest, die „scheinbare Fortschrittlichkeit des populistischen Geschlechtermodells gegenüber den Retro-Modellen des Rechtsradikalismus [solle] als eine ‚andere‘ – eine ‚alternative‘ - Moderne gelesen werden.“ Dies führt dazu, dass manche Frauen selbst anti-feministische Ziele unterstützen. Paradoxerweise wäre der Erfolg dieser Strategie nicht ohne den jahrelangen feministischen Kampf möglich gewesen, der Frauenrechte überhaupt auf die politische Agenda gebracht hat.
Deswegen ist es umso wichtiger, die Strategie hinter dieser Instrumentalisierung zu verstehen und aufzudecken. Rechtspopulistische Parteien setzen sich nicht für sondern gegen die allgemeine Stärkung der Frauenrechte ein – auch wenn sie manchmal das Gegenteil vorgaukeln! Durch den Aufschwung des Rechtspopulismus rückt damit auch die Erreichung des globalen Nachhaltigkeitsziels der Geschlechtergerechtigkeit (SDG 5), welches u.a. die Beendigung von Gewalt und Diskriminierung und stattdessen die Gleichberechtigung von Frauen fordert, in weite Ferne. Soll dieses Ziel erreicht werden, so muss auch rechtspopulistisches Gedankengut effektiv bekämpft werden.