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![UN-Treaty 10. Verhandlungsrunde](/sites/default/files/styles/gpf2020_querformat/public/media/image/UN-Treaty%2010.%20Verhandlungsrunde.png?h=125a58ae&itok=onkTesyh)
Vom 16. bis 20. Dezember 2024 fand die bereits zehnte Verhandlungsrunde über einen UN-Treaty zu Wirtschaft & Menschenrechten im UN-Menschenrechtsrat in Genf statt. Für die Vertreter*innen der verhandelnden Staaten sowie der Zivilgesellschaft geht eine produktive Woche mit wichtigen Fortschritten und engagierten Diskussionen zu Ende. Bevor wir im Januar eine ausführliche Analyse zu den Verhandlungen veröffentlichen, möchten wir hier bereits unsere Eindrücke von den einzelnen Verhandlungstagen teilen.
Celia Sudhoff, GPF-Programmkoordinatorin - Wirtschaft und Menschenrechte, hat an der Verhandlungswoche in Genf teilgenommen und täglich berichtet:
Tag 1
Der Tag begann mit starken Eingangsstatements vom Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschrechte Volker Türk und Damilola S. Olawuyi, SAN, FCIArb, Mitglied der UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte.
Im Gegensatz zu 2023 wurde auch die Agenda ohne Probleme verabschiedet, sodass es viel Zeit für die inhaltliche Arbeit gab.
Aufgrund der Verschiebung saßen nur ca. die Hälfte der Staaten im Raum verglichen mit letztem Jahr. Allerdings beteiligten sich jene, die anwesend waren, größtenteils mit General Statements. U.a. sprach auch Polen zum ersten Mal. Besonders relevant für viele Staaten, darunter Kolumbien, Portugal, Bolivien und Kamerun, war das erneute Einbinden von Umweltschutzprovisionen in den Text.
Anschließend ging es in die inhaltliche Diskussion, beginnend bei Artikel 4 "Rights of victims". Drei Punkte sind hier besonders wichtig:
- die Definition von "Victim" muss nochmal überarbeitet werden, denn die Rechte der Betroffenen sollten geschützt werden, schon bevor sie verletzt werden,
- das Recht auf einen umfassenden Zugang zu Informationen jederzeit muss bewahrt werden,
- Versuche die Dimension Geschlechtergerechtigkeit zu streichen dürfen keinen Erfolg haben.
Tag 2
Unter dem Vorsitz von M. Vásquez Bermúdez (Ecuador) hat der zweite Tag gezeigt, wie wertvoll echter Dialog für den Prozess ist. Statt nur neue Textvorschläge zu sammeln, wurden die Delegationen aktiv dazu aufgefordert, bestehende Vorschläge – inklusive Input der Zivilgesellschaft – zu diskutieren.
Das Ergebnis? Artikel 4 und 5 wurden Paragraf für Paragraf besprochen, Zustimmung oder Ablehnung abgefragt und juristische Implikationen stellenweise mit der Unterstützung der Rechtsexpert*innen geklärt. So entstand ein intensiver Austausch, der zwar mehr Zeit in Anspruch nahm, allerdings auch zum ersten Mal seit einigen Jahren eine echte Verhandlung über den Text, Begriffe und Bedeutungen ermöglichte.
Besonders breite Zustimmung zeichnete sich bei der Formulierung von "victim" ab, welche an sämtlichen Stellen im Text um den Zusatz "affected persons and communities" ergänzt werden sollte. Auch der Vorschlag in Artikel 5.2 die Formulierung "gender-responsive" zu ergänzen erfuhr große Unterstützung.
Frustrierend blieb und bleibt jedoch aus europäischer Sicht, dass für dieses Jahr erneut kein EU-Verhandlungsmandat zustande kam – gerade in einer Situation, wo eine stärkere Dynamik zu beobachten war und progressive Vorschläge in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit, Umwelt- und Klimaschutz möglich gewesen wären.
Tag 3
Obwohl Artikel 3 während der 10. Verhandlungsrunde nicht auf der Agenda stand, wurde bei der Diskussion zu Artikel 6 deutlich, wie zentral die Frage der Reichweite des UN-Treaty ist.
Viele Staaten, darunter Indonesien, China, Russland, Algerien, Ägypten und Pakistan, forderten eine Beschränkung der Reichweite auf Transnationale Unternehmen (TNCs). Dagegen sprach sich u.a. Frankreich aus. Frankreich lehnte außerdem den russischen Vorschlag ab, den Schutz für Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Arbeiter*innen und indigenen Völkern in Artikel 6.4 (e) komplett zu streichen. Ein weiteres Beispiel bei dem eine starke Stimme der gesamten EU wichtig gewesen wäre, um diese unverzichtbare Bestimmung zu verteidigen.
Unter 6.2 (c) diskutierten die Staaten, welche Sektoren explizit einbezogen werden sollen. Hierbei plädierte Brasilien dafür, den Finanzsektor mitaufzunehmen, da dieser u.a. durch Kreditvergabe wesentlichen Einfluss auf Unternehmen aller Sektoren ausübe. Panama und Palästina schlugen daraufhin vor, auch die Waffenindustrie explizit zu nennen, angesichts ihres besonderen Einflusses auf die Menschenrechte in Kriegs- und Konfliktregionen.
In einem gemeinsamen Statement von Brot für die Welt, Misereor, WECF Deutschland und Global Policy Forum forderten wir die Stärkung der Bestimmungen zu Human Rights Due Diligence (HRDD). Die aktuelle Formulierung in Artikel 6.5 „where the enterprise controls, manages or supervises the third party“ deckt bei weitem nicht alle Schritte entlang der Lieferkette ab.
Das Statement in voller Länge gibt es unter webtv.un.org (ab 1:16:27).
Informationen zur Diskussion über die Reichweite eines UN-Treaty zu Wirtschaft & Menschenrechten sind auch im neuen GPF-Briefing zu finden. Eine englische Version ist ebenfalls unter dem Titel “Scope of a UN treaty on business and human rights“ verfügbar.
Tag 4
Am Vormittag des 4. Verhandlungstages wurden die Verhandlungen zu Artikel 8 abgeschlossen, danach ging es direkt mit Artikel 9, 10 und 11 weiter.
Zu Artikel 8 hat Global Policy Forum erneut ein Statement gemeinsam mit Brot für die Welt, Misereor, FIAN Deutschland und WECF Deutschland gehalten und folgende Punkte beinhaltet:
Wir schließen uns den Vorschläge von Palästina, Ghana und Südafrika (8.6 bis und ter) an, die eine gesamtschuldnerische Haftung entlang der gesamten Wertschöpfungskette fordern. Die von den USA eingebrachten Bestimmungen zu nationalen Gesetzgebungen sollten zugunsten eines grundlegenden internationalen Rahmenwerks gestrichen werden. Wir fordern außerdem die Wiederaufnahme von Artikel 8.7, analog zu 8.6 quinquies. Die Erfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten darf keine Befreiung von straf- und zivilrechtlicher Haftung darstellen.
Artikel 9: Gerichtsbarkeit
Die Abschaffung der forum non conveniens-Doktrin ist essenziell, um den Zugang zu den besten Gerichtsverfahren für Betroffene zu sichern. Auch hier müssen Bezüge zu nationalen Gesetzgebungen gestrichen werden.
Artikel 10: Verjährung
Keine Verjährung bei schwersten Verbrechen, dazu zählen insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Genozid. Die Fristen sollten die Schwere der Verbrechen und die individuellen Umstände der Betroffenen angemessen berücksichtigen
Artikel 11: Anwendbares Recht
Betroffene können Gerichte in anderen Nationen anfragten, wenn die schädlichen Handlungen dort erfolgt sind oder die beschuldigte natürliche oder juristische Person dort ansässig ist.
Zum Abschluss wurde über die vom Vorsitzenden vorgeschlagene Roadmap für 2025 gesprochen. Besonders wichtig ist hier der hybride Zugang zu den zwischenstaatlichen Konsultationen.
Tag 5
Nachdem die Staaten die Abschlusserklärung vormittags noch hinter verschlossenen Türen besprochen haben, wurde sie am Nachmittag sehr schnell verabschiedet. In ihren Abschlussstatements lobten viele Staaten die exzellente Arbeit des ecuadorianischen Vorsitzenden und das effektive Voranschreiten der Verhandlungen. Sie hoben zudem die wertvollen Beiträge der Zivilgesellschaft hervor. Alle betonten ihr starkes Engagement für den Prozess, auch für das kommende Jahr und die geplanten zwischenstaatlichen Konsultationen.
Die internationale Treaty Alliance bekam die Möglichkeit drei abschließende Statements vorzutragen:
- ESCR-Net - International Network for Economic, Social & Cultural Rights und FIAN International betonten, dass der Vertrag längst überfällig ist und die Vorrangstellung der Menschenrechte im internationalen System gestärkt werden muss. Staaten haben die Macht – und damit die Pflicht – Menschenrechte zu schützen!
- Die "Global Campaign" fordert, dass die Rechtsexpert*innen frei von Interessenskonflikten sein und bei abweichende Meinungen transparent gemacht werden müssen.
- Die "Feminists for a binding treaty" traten für eine gechlechtergerechte Sprache im gesamten Text ein, denn "without gender justice there is no justice!"
Der Vorsitzende dankte allen Beteiligten und betonte, wie wichtig es sei, den starken Fortschritt beizubehalten.
Unser Fazit und Ausblick auf 2025
Trotz der Schwierigkeiten während des Jahres endeten die Verhandlungen mit viel Lob für das effektive Vorgehen des neuen Vorsitzenden und einer zügigen Verabschiedung des Abschlussberichts. Viele Staaten bekannten sich in ihren abschließenden Statements für den Prozess und lobten die wertvollen Beiträge der Zivilgesellschaft. Die internationale Treaty Alliance unterstrich die Dringlichkeit des Vertrags und die Notwendigkeit, die Vorrangstellung der Menschenrechte im internationalen System zu sichern.
Die für 2025 geplanten zwischenstaatlichen Konsultationen wurden begrüßt, methodische Anpassungsvorschläge der Zivilgesellschaft berücksichtigt. Ein zentraler Aspekt bleibt hier die breite und wenn möglich hybride Zugänglichkeit zu den Konsultationen sowie die Unabhängigkeit der neuen juristischen Expert*innen.
Damit ging am 20.12. eine überraschend produktive Verhandlungswoche zu Ende. Die stärkere Dynamik, die ergebnisorientierte Methodik und die zusätzlichen Kapazitäten lassen hoffen, dass 2025 ein entscheidendes Jahr für den Treaty-Prozess wird – einschließlich eines längst überfälligen EU-Mandats.
Alle Textvorschläge wurden live dokumentiert.
Weitere Informationen zu den einzelnen Verhandlungstagen hat das Business & Human Rights Resource Centre zusammengestellt
Weitere Informationen zum Treaty-Prozess sowie Publikationen und Zusammenfassungen früherer Verhandlungsrunden sind auf unserer UN-Treaty-Seite zu finden.